Robert Jacobsen: Künstler, Komponist, Erfinder
»Die Kunst, auf eine angenehme Art zu befremden, einen Gegenstand fremd
zu machen und doch bekannt und anziehend, das ist romantische Poetik«.
Dieser Aphorismus findet sich in der philosophischen Hinterlassenschaft, der
Enzyklopädie (1799), von Novalis. Romantik wird dabei verstanden als eine
Sicht auf die Welt, die eine Schau anderer Art ermöglicht, als sie
ausschließlich rationalem Denken zugänglich ist, stattdessen immanente
Eigenschaften der Dinge enthüllen und Möglichkeitsformen vorzeigen kann.
Das romantische Denken kann getrost als Vorentwurf der Avantgarde seit
dem 20. Jahrhundert bezeichnet werden, die mit dem Aufbrechen von
herkömmlichen Grenzen der Kunst in einen Bereich einzudringen versuchte,
in dem ästhetisches Neuland zu entdecken war.
Angenehmes im Sinne von großem ästhetischen Vergnügen, dabei Vertrautes
neuartig fremd erscheinen zu lassen, sind Attribute der Arbeiten von Robert
Jacobsen. Originalität und Einmaligkeit paaren sich dabei, sodass diese
Arbeiten sich kaum auf einen einzigen Begriff festzulegen lassen. Und doch
sind sie bei aller Verschiedenheit personalstilistisch geprägt.
Jacobsen selbst versteht sich als Künstler, Komponist und Erfinder. Klang,
Licht, Raum und Bewegung gehen eine enge Verbindung ein, an Objekten
werden neuartige Ansichten freigelegt, immer treten seine Gegenstände und
Klanginstallationen in irgendeiner Weise in Beziehung zum Rezipienten.
Materialvorgaben gibt es nicht. In seinen Händen und seiner Imagination
kann sich alles so verwandeln, als stamme es aus einer Wunderwelt.
Anregungen empfing Jacobsen Mitte der 1980er Jahre von der kinetischen
Kunst, darunter von den Mobiles von Alexander Calder, dem er ein frühes
Werk widmete. Die raumauflösenden Mobiles sind Skulpturen, um die man
nicht mehr herumgehen muss. Sie integrieren, wie es typisch ist in der
Moderne, Wahrnehmungsaspekte in eine künstlerische Erscheinung, indem
sie ihre wechselnden Ansichten unmittelbar zeigen, und machen damit die
immer stattfindende Integration von Zeit in die visuelle Erfahrung bewusst.
Aber was sich bewegt, ist in der Regel mit akustischen Ereignissen
verbunden, – ein Gedanke, der bei Jacobsen zu einer Weiterentwicklung
führte. Die Mobiles, die Jacobsen baute, machen nicht nur darauf
aufmerksam, dass die Raumwahrnehmung dynamischer Natur ist, sondern
auch, dass Veränderliches zu sehen, mit Hören verbunden ist. Sie sind
klingend konzipiert. Es kann eine luftig bewegte klingende Fantasiegestalt
eines solchen Mobiles bezaubern, als wäre es zum Sender einer Musik
geworden, bei der sich Instrumentaltöne mit fernen Kinderstimmen,
Choralartigem, einem rhythmischen Geräusch u. a. mischen. Die Klänge
ziehen die Aufmerksamkeit des darunter (auf einer Liege) Ruhenden auf sich.
Die Mobiles zeigen ein überaus gutes handwerkliches Vorgehen, das typisch
ist für alle Arbeiten von Jacobsen. Die Klänge von CDs, die das erste Mobile
ausstrahlte, sind seinen Bewegungen integriert, denn seine Empfänger
nehmen je unterschiedliche akustische Informationen (von Infrarotsendern)
entsprechend ihrer momentanen Lage im kinetisch bewegten Spiel auf.
Elektronik spielt bei vielen anderen Arbeiten von Jacobsen eine
selbstverständliche Rolle. Sie ist, wie oft bei Geräten unseres täglichen
Lebens, jedoch kein Selbstzweck, wie dies in der Medienkunst der Fall sein
kann; sie ist ein dienstbarer Geist für eine künstlerische Idee. Und kein
Mobile gleicht dem anderen. Warum nicht, statt mit Lautsprechern, ein
Mobile mit kleinen Monitoren ausstatten?
Inzwischen sind viele andere Arbeiten entstanden, die sich der
unterschiedlichsten Materialen bedienen. Alles Vorhandene scheint die
Fantasie von Jacobsen anregen zu können. Fragmentierte Objets trouvés, der
Flügel eines Vogels, der Panzer eines Gürteltiers, ein Klavier, der Klang von
Wasser, Elektronikschrott u.a.m. führen zu Neuerfindungen, zu seltsamen
bewegten klingenden Gestalten oder zu kleinen Robotern auf beweglichen
Gestängen, deren Monitoren mit einem flirten, oder gar einen Kuss zu geben
versuchen. Diese Objekte sind zauberhafte, nie gesehene Wesen, deren
inneren Charakter der Klang enthüllt. Eine Reihe von ihnen kann man in einer
Diashow unter www.Robert-Jacobsen.com bewundern.
Jacobsen kombiniert sie, zuweilen im Raum verteilt, zu einem abstrakten
Theater und verknüpft sie durch eine musikalische Komposition, deren
Ausführende sie sind zusammen mit den Besuchern. Ein Teil dieser Wesen
kommuniziert untereinander, ein Konzertflügel schlägt lautstark seinen
Deckel zu und veranlasst dadurch eine Aktion einer Skulptur. Die
Wasserharfe mit ihren ätherischen Klängen bleibt davon unbeeindruckt und
reagiert nur auf den vorbeigehenden Betrachter. Denn sie besitzt wie einige
andere Objekte Bewegungsmelder und spielt daher nur, wenn man sich ihr
vorübergehend zuwendet. Dieses abstrakte Theater choreografiert den Raum
durch seine sorgfältige Anordnung der Figuren. Da aber der Besucher keine
Frontalansicht hat, ist er an dieser Choreografie durch seine jeweilige
Position und seine Blickbewegungen beteiligt. Ein Gleiches gilt für das
Klanggeschehen, das einerseits festgelegt ist, aber durch die
Bewegungssensoren teilweise modifiziert wird. Jacobsens Arbeiten sind
immer an die Imagination des Rezipienten gerichtet. In dessen Spiel der
Gedanken enthüllt sich die Dramaturgie. Andere Stücke knüpfen an bekannte
Werke an und inszenieren sie im Miniformat, so Samuel Becketts Happy Days.
Auch reine Klangarbeiten, z. B. für einen Durchgang im Musemsquartier von
Wien, können theatrale Aspekte besitzen. Á la Visite ist als Hörstück gedacht,
bei dem Klänge (Vokalisen, orchestrale Erinnerungen) zu Besuch kommen,
manche verschwinden ganz schnell wieder, andere durchkreuzen erst den
Raum. Wer ist zu Besuch, der Hörer oder der Raum, der zum Verweilen
einlädt? You – It ist ein interaktiv komponiertes Setting, bei dem der
Besucher die über 32 Lautsprecher verteilten Klänge auslöst und teilweise
ihren zeitlichen Ablauf bestimmt. Bei diesem Hörstück treten Eindrücke von
Dreidimensionalität in den Vordergrund, die an jedem Klang haften, denn
jeder Klang braucht Raum, um sich zu entfalten. Diese Eindrücke gehen
jedoch normalerweise als Nebenbei-Wahrnehmung verloren. Klangstücke
können für die Landschaft gedacht sein, wie die Sirenen, die schon Odysseus
zu verführen versuchten. Hohe Masten mit Fahnen und eine Sitzbank
markieren einen Ort, an dem die im Fuß der Masten versteckte Audioanlage
ihr obertonhaltiges Klanggewebe mit dem Echo mischt. Je nach Witterung
ergibt sich ein anderer Höreindruck von der Landschaft.
Jacobsen zielt neben Raumeindrücken immer auf mentale Reaktionen
Rezipienten. Darin war schon bei den Mobiles der Gedanke eines Raums im
Raum, eines Ruheraums, impliziert. Space Room realisiert eine solchen Ort
des Verweilens in anderer Weise. Sich langsam ändernde Lichtstimmungen
nehmen die Aufmerksamkeit unmerklich sanft gefangen. Zwei synchron
laufende, verschieden instrumentierte Kompositionen (Cello und Schlagzeug
bzw. Klavier) bemühen die Fähigkeit des getrenntohrigen Hörens. Sie
fokussieren ebenfalls die Aufmerksamkeit, halten damit äußere
Störgeräusche ab und erhöhen die Konzentration auf das Hier und Jetzt und
das eigene Selbst.
Auf einer Kritik am manipulativen Charakter der Medien, die durch
nachdrücklich gleichsinnige Informationen von ihren Botschaften überzeugen
wollen, beruht die Idee für My – TV aus. In einem blau beleuchteten Raum
schwebt ein Fabelwesen, ein eiförmig zusammengefügter Gürteltierpanzer,
der wie ein Zyklop einäugig zu sein scheint, weil er in der Mitte einen kleinen
Monitor besitzt. Bilder und Klänge erscheinen, die aber nur manchmal
zusammenpassen. Man versucht sie im Kopf zusammenzufügen und wird
sich dabei eines Automatismus‘ der Wahrnehmung bewusst.
Die Verschiedenartigkeit der Konzeptionen dessen, was uns Jacobsen
vorzeigt, ist beeindruckend. Solches Vorzeigen von Dingen und Ereignissen,
die wir übersehen oder gar nicht wahrnehmen können, ist typisch für die
Kunst des 21. Jahrhunderts. Sollte man zu den eingangs vom Künstler
erwähnten Berufszeichnungen noch den des Forschers hinzufügen? Das
Hydrophon von Kopenhagen wäre ein Beispiel dafür. In einer Telefonzelle mit
einer Sitzbank machte Jacobsen mit einem geliehenen Spezialmikrofon, die
Unterwasserklänge der See bis zu einer Ferne und Tiefe von 5000 m hörbar.
Jede kleinste Welle mischte sich derart sonifiziert in einen unaufhörlich
wandelnden Klangstrom, der den Eindruck einer neuartigen Musik evozierte.
Das Spiel der Fantasie, das Jacobsens Arbeiten im faszinierten Rezipienten
anregen können, ist immer gepaart mit großem ästhetischen Vergnügen. Wer
eines der Sample Books von ihm besitzt, kann sich solche Freude bereiten, so
oft er will. Äußerlich ein Buch, überrascht es beim Aufschlagen: Links ein
Spiegel, in dem man sich selbst sieht, rechts unter Gaze versteckt ein
Audiosystem, das wiedergibt, was man sagt, singt oder pfeift. Damit kann
jeder der Performer in einem persönlichen audiovisuellen Spiel sein, das mit
Selbstreflexion und Vergnügen verbunden ist und einem akustisch den
Spiegel vor hält.
Helga de la Motte-Haber 2013
PORTRAIT FOTO © MANFRED LEVE